Fall Friesenhof: Werden die Kinderrechte heute in der stationären Kinder- und Jugendhilfe gewahrt?
Kinderschutzbund fordert erneute Einberufung des Runden Tisches Heimerziehung
Der Fall Friesenhof – zehn Jahre ist es her, dass betroffene junge Menschen öffentlich von einem System der Unterdrückung und Erniedrigung, zu dem auch körperliche Gewalt seitens der Erzieher*innen gehörten, berichteten. Dazu kamen tagelange Isolation, Schlafentzug und nächtlichen Sportstunden als Strafen; Beschwerdebriefe seien zerrissen und der Kontakt zur Außenwelt sei verhindert worden. Strukturelle Missstände in der stationären Kinder- und Jugendhilfe wurden öffentlich gemacht.
Der Kinderschutzbund Schleswig-Holstein nimmt die neuerliche Berichterstattung rund um die Schadensersatzverhandlung zum Anlass, eine kritische Bilanz zu ziehen. Auch wenn die Schließung der Einrichtung rechtlich in Verfahrensfragen möglicherweise nicht einwandfrei war – die Bewertung in Bezug auf Kinderrechte bleibt eindeutig: Die Berichte über das langjährige grenzverletzende Verhalten gegenüber jungen Menschen werfen ein dunkles Licht auf die Heimerziehung zu jener Zeit.
Wie steht es heute um die Kinderrechte in der stationären Kinder- und Jugendhilfe?
Sophia Schiebe, Landesvorsitzende: „Zehn Jahre nach Friesenhof stellt sich die Frage, ob die Kinderrechte in der Heimerziehung heute wirklich umfassend gewahrt werden. Können Jugendliche in allen Einrichtungen ihre Stimme erheben und sich beschweren, wenn ihre Rechte missachtet werden? Wie können wir gewährleisten, dass diese Stimmen nicht ungehört verhallen und Einrichtungen nicht zu geschlossenen Systemen werden? Nach den Vorfällen rund um die Schließung des Friesenhofs wurde ein Runder Tisch[1] ins Leben gerufen, um die Ereignisse aufzuarbeiten und Verbesserungen in der Heimerziehung anzustoßen. Doch wo stehen wir heute – eine ganze Dekade später? Wurden die damals beschlossenen Maßnahmen konsequent umgesetzt? Welche weiteren Schritte sind notwendig, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu stärken? Der Kinderschutzbund fordert ein erneutes Zusammenbringen aller relevanten Akteur*innen – von Vertreter*innen der stationären Kinder- und Jugendhilfe über unabhängige Expert*innen bis hin zu jungen Menschen selbst als Expert*innen in eigener Sache.“
Es gelte, Fortschritte in der Praxis transparent zu machen und gleichzeitig offenkundige Defizite anzugehen. Zu den zentralen Handlungsfeldern gehöre
- die Stärkung der Beteiligungsrechte der jungen Menschen,
- der Ausbau unabhängiger Beschwerdeinstanzen und
- eine kontinuierliche Qualitätssicherung in den Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe.
Sophia Schiebe: „Der Fall Friesenhof mahnt zur ständigen Reflexion und Verbesserung der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Als Kinderschutzbund stehen wir fest an der Seite der jungen Menschen und setzen uns unermüdlich dafür ein, dass Kinderrechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern tagtäglich gelebt werden. Mit dem zu erwartenden möglichen Urteil und der damit verbundenen öffentlichen Debatte entsteht die Chance, bislang vernachlässigte Aspekte anzugehen und den Schutz junger Menschen nachhaltig und erkenntnis- wie zeitgemäß zu verbessern.“
[1] Siehe: Runder Tisch zur Situation der Heimerziehung in Schleswig-Holstein. Bericht über Themen und Ergebnisse der Diskussionen in sechs Veranstaltungen. Dr. Vera Birtsch und Jana Molle. 2016.